Über Lernen und Gedächtnis 2

Beim Lernen von Vokabeln einer Fremdsprache kann die lernende Person selber regulieren, wie lange sie den Lernprozess fortführt und auch hier besteht die Gefahr, dass das Wiederholen abgebrochen wird, bevor die Vokabeln gut verankert sind. Beim Vokabellernen ist ja das Karteikarten-System (engl. dropping flashcards) verbreitet und auch effizient; heute wird dieses System natürlich mittels Tablets und Smartphones angewendet. Dabei hat die lernende Person die Möglichkeit der Regulation, indem sie eine Karte aus dem Stapel beiseitelegt, wenn sie glaubt, diese Vokabel in der Fremdsprache zu beherrschen. Dadurch wird Zeit gewonnen zum Lernen jener Vokabeln, die noch nicht abgerufen werden können.

Kornell und Bjork (2008) haben untersucht, ob durch diese Möglichkeit der Selbstregulation der Lernprozess optimiert wird. Dabei sind sie wie folgt vorgegangen:

An der Untersuchung nahmen 60 Studierende ihrer Universität teil, welche in zwei Lernphasen je 20 Englisch-Suaheli-Wortpaare lernen sollten. Das englische Wort wurde jeweils für 1.5 Sekunden gezeigt, dann das entsprechende Wort in Suaheli für 3 Sekunden. Die beiden Lernphasen dauerten je 10 Minuten. Hierbei wurden in der einen Lernphase alle Vokalbelpaar bis zum Schluss beibehalten. In der anderen Lernphase hingegen konnten die Teilnehmenden selber entscheiden, ob und wann ein Wortpaar beibehalten oder aus dem „Lern-Stapel“ entfernt wurde. Alle 60 Teilnehmende haben also beide Lernbedingungen durchgeführt. Anschliessend wurden 31 Teilnehmenden sofort getestet, wie gut sie die die Vokabeln erinnern konnten, während die andere 29 Teilnehmenden erst nach einer Woche getestet wurden. 

Hat nun die Möglichkeit der Selbstregulation zu einer Optimierung des Lernens geführt? Und wie sieht es mit dem langfristigen Lernen (also, erinnern nach einer Woche, aus? Die Ergebnisse sind in der folgenden Grafik dargestellt:

Es zeigte sich, dass die Vokabeln aus der selber regulierbaren („drop“) Lernbedingung schlechter erinnert wurden als jene aus der nicht regulierbaren („no-drop“) Lernbedingung und zwar sowohl wenn der Test unmittelbar („immediate“) nach den Lernphasen, als auch wenn er erst nach einer Woche („1 week“) stattfand.

Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass bei der Möglichkeit der Selbstregulation die Gefahr besteht, Lernmaterial zu früh beiseite zu legen, nämlich bereits nach einem erstmaligen korrekten Abruf. Dies bedeutet aber noch keinesfalls, dass die Vokabel bereits sicher erinnert werden kann. Es wäre also sinnvoll, das Wortpaar noch für einen weiteren Durchgang beizubehalten.

(Ich werde in einer kommenden Reflexion zur Kategorie „Forschung und Statistik“ detailliert auf die Vorgehensweise, den sogenannten Versuchsplan der Untersuchung, sowie auf die Darstellung und Interpretation der Ergebnisse eingehen.)

Referenz: Kornell, N., & Bjork, R. A. (2008). Optimising self-regulated study: The benefits – and costs – of dropping flashcards. Memory, 16, 125-136.

Über Lernen und Gedächtnis 1

Da ich mich in meinem Berufsleben als Forscher und Dozent mehrere Jahrzehnte lang mit Kognitionspsychologie und hauptsächlich mit den Themen Lernen und Gedächtnis befasst habe, liegt es nahe, dass ich auch hier gelegentlich über dieses Thema reflektiere. Dabei versuche ich, ausgehend von Beobachtungen aus dem Alltag, Hinweise zur Umsetzung von effizienten Lernprozessen zu geben (und allenfalls mit einer kurzen Darstellung von Forschungsergebnissen zu illustrieren).

Gelegentlich beobachte ich das Phänomen, dass Lernprozesse zu früh abgebrochen werden. Stellen Sie sich vor, Sie üben auf Ihrem Musikinstrument ein Stück ein und eine Passage, etwa ein Lauf mit schnellen Sechzehntel-Noten oder eine rhythmisch schwierige Phrase, bereitet Ihnen Schwierigkeiten. Oder: Eine Passage, die sie zwar allein gut beherrschen, gelingt beim Zusammenspiel im Ensemble nicht gut. Also, wird diese Passage wiederholt, meistens solange, bis sie ein erstes Mal hinlänglich gut gelingt; anschliessend wird das Stück fortgesetzt und es wird angenommen, beim nächsten Mal würde die schwierige Passage gelingen. Was allerdings oft nicht der Fall ist. Effizienter wäre es deshalb, nach einem ersten, hinreichend guten Durchlauf, die Repetition der Passage nochmals, vielleicht sogar noch zweimal, fortzuführen, um das Gelernte zu konsolidieren.

Der dargestellte Aspekt wird in der Lernforschung als Selbstregulation bezeichnet, denn es geht ja darum, wie der/die Lernende (oder das Ensemble) den Lernprozess reguliert, weiterführt oder abbricht. Dazu gibt es eine interessante Untersuchung zum Lernen von Vokabeln einer Fremdsprache, welche in der nächsten Reflexion zum Thema Lernen und Gedächtnis dargestellt wird.